Ben Greber "Evacuations" vom 21.04. - 20.05.2018

Abdruck von Betonzaunpfählen
Abdruck von Betonzaunpfählen

Mattes blaues Licht. Die auf den ersten Blick erkennbare Diskrepanz zwischen Edelstahlhalterungen und Fragmenten aus dem kulturellen Eingriff des Menschen in die Nutzlandschaft lassen auch den Besucher in ein Spannungsfeld geraten. Einerseits zeigen die Räume eine beeindruckende Ästhetik und Klarheit im Ausdruck, andererseits werfen sie gewollt Fragen auf.

 

 

Im Mittelpunkt der Ausstellung „evacuations“ von Ben Greber zum Jahresthema „architektour“ im Cuxhavener Kunstverein stehen drei abgeformte Objekte: Zwei Backsteinmauerfragmente eines Grabenstauwehrs, ein Stapel mit 21 Betonzaunpfählen und eine an zwei Zaunelemente montierte Wasserpumpe. Durch ihre präzisen Abformung wirken sie fast realistisch, in ihrer Farbgebung und in dem kontrastierenden Edelstahlrahmen ist jedoch der künstlerische Einfluss des gerade noch Sichtbaren, der entkoppelten architektonischen Reste menschlicher Eingriffe in die Nutzlandschaft, erkennbar. Alle Objekte sind nur Fragmente. Sie zeigen einerseits die Vergänglichkeit, andererseits aber auch das Verschwinden in eine ungewisse Zukunft. Ben Greber deutet die Isolation der Objekte durch den Edelstahlrahmen an, der eine Verbindung zur Umgebung verhindern soll, gleichzeitig aber auch einen Anklang in den Stahlleisten findet, die von ihm an den Wänden angebracht sind.

Fragmente eines Grabenstauwehrs als Abdruck
Fragmente eines Grabenstauwehrs als Abdruck

Früher hat Ben Greber vor allem zum Thema prozessualer Skulpturen gearbeitet. Hier ging es ihm um die Abbildung gegenständlicher Skulpturen und ökonomischer Prozesse von architektonischen Strukturen.

Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und der technischen Optimierung beobachtet der Künstler eine immer größere Entgegenständlichung. Was macht das mit uns als Betrachter? Verändern wir uns vom Subjekt zum Objekt?

 

Diesen Aspekt greift Ben Greber in der thumbnailartigen Reihung von Landschaftsfotografien auf. Durch die grobe Rasterung verschwindet fast die Umgebung. Es sind nur noch die Horizontlinie, einige Bäume sowie teilweise Unebenheiten im Gelände erkennbar. Die Fotografien entsprechen im Format einem Handy-Display. Hier wirft der Künstler die Frage auf, ob auch unsere Wahrnehmung der Umgebung durch ein enges vorgegebenes Maß bestimmt wird. Sehen wir mehr durch eingeschränkte Perspektiven oder sind wir noch in der Lage und können Perspektiven wechseln und damit unsere Wahrnehmung? Die Stahlleisten, auf denen die Fotografien montiert sind, hängen nur hüfthoch, sodass man sich bücken muss, um die Bilder zu betrachten. Sie kommen einem nicht entgegen, wie es manchmal den Anschein bei Bildern in Augenhöhe hat, sondern man muss sich auf sie zubewegen und entdeckt doch eine gewisse Leere. Wenn das Digitale immer mehr die Überhand gewinnt, verschwindet im gleichen Maße auch das Analoge, das Greifbare und mitunter auch Begreifbare. Viele Prozesse laufen unsichtbar, vielleicht sogar auch unbewusst in der digitalen Welt ab. Darauf möchte der Künstler mit der „Entgegenständlichung“ hinweisen.

 

 

v.l. Hans Hochfeld, Dr. Jessica Lütge und Ben Greber im Künstlergespräch
v.l. Hans Hochfeld, Dr. Jessica Lütge und Ben Greber im Künstlergespräch
Fotografien einer "entgegenständlichten" Nutzlandschaft
Fotografien einer "entgegenständlichten" Nutzlandschaft

Als dritten Aspekt sehen die Besucher fünf nebeneinanderhängende Stahltafeln mit jeweils einem Motiv eines halbverrotteten Zaunpfahls, der wegretuschiert ist. Die Tafeln hängen in begrenzten Abständen an der Wand uns zeigen somit einen imaginären Zaun im Ausstellungsraum. Wieder ist der Besucher mit einer Leere konfrontiert, die im Grunde auch philosophische und existenzialistische Fragen aufwirft. Können wir in einer Welt, in der immer mehr Menschen leben, eigentlich wirklich Nähe empfinden oder sieht man nicht vielmehr durch Menschen hindurch, die einem begegnen? Entsteht in Ballungszentren durch die Architektur nicht eher eine Leere als eine Gemeinschaft?

 

 

Das kalte blaue Licht in den Ausstellungsräumen, das dadurch hergestellt ist, dass der Künstler die Leuchtstoffröhren mit blauer Folie ummantelt hat, verdeutlicht ergänzend die Atmosphäre der Entleerung. So ist auch der Name der Ausstellung „evacuations“ zu verstehen. Er meint nicht nur die in der deutschen Sprache bezeichnete Notfallmaßnahme, sondern in der lateinischen Übersetzung die „Entleerung“.

Die Ausstellung im Cuxhavener Kunstverein zeigt einerseits eine deutlich homogenisierte Nutzlandschaft, die Ben Greber als „Nicht-Landschaft“ bezeichnet, andererseits geht der Künstler in seiner Aussage tiefer, indem er die „Nicht-Landschaft“, das nicht mehr Sichtbare, auch auf die digitalisierte Welt überträgt. Die besondere Ästhetik und Kühle der Ausstellung kann auch als Symbol der modernen Welt reflektiert werden. Eine konkrete Antwort gibt es nicht, allerdings vermittelt Ben Greber das Gefühl, das zum Hinterfragen einlädt.

Ben Greber

Ben Greber, geb. 1979 in Halle/Westfalen, lebt in Berlin. Er hat von 2001 bis 2010 bei Katharina Fritsch an der Kunstakademie Münster studiert und war Meisterschüler bei Katharina Fritsch und Ayse Erkmen.    

 

Ben Greber hat als Künstler zunächst (2007- 2011) gegenständliche Werke geschaffen: Skulpturen aus Pappe und Papier, aber auch aus anderem Material, die Funktionen menschlicher Grundbedürfnisse in der technisierten Welt zeigen. Seit 2011 arbeitet der Künstler an der Entgegenständlichung. Er zerlegt und bearbeitet seine Werke und schafft damit ein neues künstlerisches Verständnis, das auch eine Auswirkung auf das Bewusstsein des Betrachters hat. Somit gestaltet Ben Greber immer wieder neu und ermutigt den Betrachter zur Reflexion über sich verändernde Welten.